…und weshalb ich mit dieser Niederlage ganz gut leben kann.
„Nortorf? Klingt ja wie Nordpol! Wie kommst du denn auf sowas?“
Zumindest die grobe Richtung passt schon mal – Nortorf liegt mitten in Schleswig-Holstein. Ein 24-Stunden-Radrennen hatte ich ja letztes Jahr schon bei Rad am Ring bestritten. Mit den dort vorsorglich gesammelten Höhenmetern bin ich für die nächsten 5 Jahre bedient, sodass ich mich dieses Mal mit irgendwas Flachen zufrieden geben konnte. Irgendwo zwischen Nord- und Ostsee klang also gar nicht so verkehrt.
Dreh- und Angelpunkt für die vom RSG-Mittelpunkt e.V. veranstalteten 24 Stunden von Nortorf bildet die örtliche Gemeinschaftschule. Ausreichend Platz für alles Organisatorische, ein Freilichtfahrerlager sowie Ruheräume ist hier allemal. Eine provisorische Werkstatt mitsamt zwei fähigen Händen steht auch bereit. Wer das Pech hat, dass ihm das Fahrrad nun nicht genau neben der Werkstatt auseinander fällt, für den fährt permanent ein Materialwagen umher, den man notfalls sogar anrufen könnte. Neben Ersatzteilen hat dieser, wenn es ganz hart kommt, wohl auch eine Menge Trost an Bord.
Von der Schule aus führt die Strecke auf einen 28km langen Rundkurs durch die weitestgehend flache Landschaft. Pro Runde sammelt man gerade mal 100 Höhenmeter, wobei man diese auf drei Kilometern erschlägt und den Rest der Runde seine Ruhe hat. Im Großen und Ganzen ist die Runde gut zu befahren und stellt nicht an sich schon eine Herausforderung da.
Die Strecke ist für den übrigen Verkehr nicht gesperrt. Die 24 Stunden von Nortorf sind auch explizit nicht als Radrennen, sondern als Radmarathon ausgeschrieben. Nichtsdestotrotz gibt es renn-ähnliche Merkmale , wie eine elektronische Rundenzählung, Wertungsklassen und Siegerehrungen. Man kann also nicht nur gegen Erschöpfung und seinen inneren Schweinehund, sondern auch gegen andere Radbekloppte antreten.
Radmarathon oder inoffizielles Radrennen? Es ist wohl genau das, was man draus machen will.
Die Küche der Schule wurde übrigens durchgängig befeuert, um die Athleten auch mit frisch zubereiteten Köstlichkeiten zu versorgen. Eigentlich hätte man auch nur zum Schlemmen nach Nortorf fahren können.
Die exzellente Verpflegung war letztendlich auch sinnbildlich, weil man hier am meisten gemerkt hat, dass an diesem Wochenende nicht nur den Teilnehmern viel abverlangt wurde, sondern auch von Seiten des RSG-Mittelpunkt e.V. mit seinen vielen freiwilligen Helfern große Anstrengungen unternommen wurden, alle aber trotzdem mit Freude und Herzblut dabei waren und so zu einer entspannten, familiären Atmosphäre beigetragen haben.
Chapeau! Vielen Dank für das tolle Event.
Vielen Dank auch für die Bilder, die völlig unkompliziert zur Verfügung gestellt wurden, ohne mir dafür einen Arm und ein Bein abzunehmen.
Wer sich für 2019 noch anmelden will, sollte schnell sein. Um die Qualität der Veranstaltung aufrecht zu erhalten, ist das Starterfeld auf 200 Teilnehmer limitiert. Augenscheinlich sind aktuell nur noch wenige Startplätze verfügbar.
Wie lief es bei mir und was ging mir da alles durch den Kopf?
Was schon mal nicht geklappt hat, war die geplante Anreise am Vorabend um auch wirklich ausgeschlafen am Start zu stehen. Ich war abends viel zu spät abfahrbereit und wäre wohl erst gegen Mitternacht in Nortorf angekommen. Auf zappendusteren Zeltaufbau -dazu noch bei Regen von der Seite- hatte ich keine Lust, sodass die 350 km weite Anreise auf den Morgen des Rennens verlegt wurde. Der Wecker klingelte um 4Uhr: vier Stunden Schlaf müssen wohl auch dieses Jahr reichen. Mehr gab es im Vorjahr bei Rad am Ring auch nicht.
Um 10 Uhr setzten sich knapp 200 Radler in Bewegung. Einen Startschuss gab es nicht. Stattdessen wurde zunächst artig dem Safety Car Safety Klapprad hinterhergedackelt, damit sich auf dem engen und verwinkelten ersten Teilstück niemand verfährt…
…vermutlich aber eher damit sich das dichte Feld nicht gleich selbst über den Haufen rollt.
Der fliegende Start erfolgte am Ortsausgangsschild und es hieß erstmal „Kette rechts“.
Das Feld hatte sich schnell sortiert und ich fand mich in der 25-Mann-starken Führungsgruppe wieder. Beim Blick auf den Tacho war ich dann aber doch leicht irritiert. Die ersten beiden Runden wurden mit einem sehr ambitionierten 37er Schnitt absolviert. Bin ich versehentlich doch zu weit nach vorne geradelt und nun in die Wochenendausfahrt einer örtlichen Radsportgruppe geraten? Fuhren die Leute um mich herum etwa nicht bei so ‘nem 24-Stunden-Dingens mit? Wollen und können die das Tempo 24 Stunden lang durchziehen? Wie lange könnte ich da wohl mitspielen?
Und die wichtigste Frage überhaupt: Warum habe ich verpeilter Trottel vergessen, nochmal ordentlich zu frühstücken und mir vor dem Start die Trikottaschen mit Proviant vollzustopfen?
Ich saß noch keine zwei Stunden auf dem Rad und bekam schon einen Mordshunger.
Ich steckte in einem Dilemma. Einerseits wollte ich mich natürlich solange wie möglich in der Gruppe halten. Andererseits riskierte ich, damit voll gegen die Wand zu fahren.
Ich war eigentlich ganz froh, dass mir die Entscheidung darüber dann schon in der dritten Runde abgenommen wurde. Bergauf wurde ich gnadenlos stehen gelassen und konnte danach die Lücke alleine gegen den Wind nicht mehr schließen. Nun konnte ich mich nicht nur ohne Reue dem Buffet widmen, sondern es entfiel auch die Verlockung, mich frühzeitig selbst zu verheizen.
Leidensgeschichten werden wohl eh erst in der zweiten Hälfte des Rennens geschrieben. Da man da aber erstmal hinkommen muss, begann nach der verbissenen Anfangsphase nun das stumpfe Kilometerfressen. Ich zog größtenteils alleine meine Kreise und hielt alle 2 Runden bzw. 56km am Verpflegungsstand. Wirklich in Erinnerung geblieben ist mir nur der heftige Wind. Bis zu 50km/h schnelle Böen ließen mich gefühlt auf der Stelle stehen. Ansonsten war die erste Hälfte des Rennen ereignislos. Ross und Reiter waren besten aufeinander eingespielt, liefen wie geschmiert und zeigten keine Anzeichen eines möglichen Leistungseinbruchs.
Am Verpflegungsstand oder auch unterwegs kam man schnell mit anderen Teilnehmern ins Gespräch. Zwischen Rekordambitionen und spaßiger Wochenendausfahrt war alles vertreten.
Zwischenstand nach 10Runden/280km:
Die Hälfte meines selbstgesteckten Ziels von 560km hatte ich nicht etwa nach zwölf Stunden erreicht, sondern schon nach 9:30h. Sofort war mein innerer Schweinehund zur Stelle und schlug vor, doch mal ein bisschen den Zug aus der Kette zu nehmen. So richtig überzeugen konnte er mich zwar noch nicht, ein hartnäckig nervender Begleiter war er nun trotzdem.
Mit überschreiten der 12 Stunden Marke wandte sich das Rennen durch zwei Punkte.
- Von der Landschaft sah man nicht mehr sonderlich viel.
- Ich entdeckte neben der Rundenerfassung einen Monitor mit den aktuellen Platzierungen.
Mit knapp 10 Minuten Vorsprung lag ich an dritter Stelle in der Altersklasse „Männer 18-39“.
Die ersten Drei jeder Altersklasse erhalten am Ende einen Pokal. Als Vierter würde ich -vom Eventshirt abgesehen- mit leeren Händen heimkehren.
“Nee! Nicht mit mir!” Ich hatte den Kuchen gerochen und wollte jetzt gefälligst auch ein Teil davon abhaben. Aus einem zwölfstündigen Ausrollen wurde schlagartig bitterer Ernst. Dem inneren Schweinehund wurde ein Maulkorb verpasst. Der Druck auf dem Pedal musste um jeden Preis gehalten werden. In der kalten Nacht sollte theoretisch auch das Wasser länger reichen, sodass eine Pause deswegen nur noch alle drei Runden eingelegt werden muss.
Apropos Kälte: ich hatte mich auf den Wetterbericht verlassen, der für diese Julinacht durchgehend mindestens 11°C vorausgesagt hatte. Lange Hosen, dicke Jacke, Handschuhe und Mütze lagen also im entfernten Berlin, während das Thermometer in Schleswig-Holstein auf 4 Grad absackte und ich mir den Arsch abfror. Als Begleiterscheinung der Kälte legte sich dann auch dichter Nebel über einige Streckenabschnitte.
Wie neu taktiert, erfolgte die nächste Pause dann erst wieder nach drei straffen Runden. Die Neugier war größer als der Hunger und so war die erste Anlaufstelle nicht etwa der Verpflegungsstand, sondern der Monitor mit der Rangliste.
Ich schaffte es nicht nur, den Abstand zu Platz 4 deutlich auszubauen, sondern bin sogar noch auf Platz 2 vorgefahren. Ich stand noch keine 10 Sekunden vor dem Monitor als im Augenwinkel ein radelnder Schatten vorbeihuschte, die Rundenzählung laut piepste und ich zusehen konnte, wie ich im Ranking wieder zurück auf Platz 3 rutschte.
In Rekordzeit wurden die Trinkflaschen aufgefüllt und Unmengen an Vorräten in die Hamsterbacken gestopft, bevor ich mich wieder aufs Rad schwang und die Verfolgung aufnahm.
Mit der Vernunft war es nun jedenfalls endgültig vorbei: bei strahlendem Vollmond erwachte ein bissiges Biest. Es hatte Blut geleckt und lechzte nach Beute.
“Welche Startnummer hatte das auserkorene Opfer doch gleich?” Verdammt, darauf hatte ich gar nicht geachtet. Es war auch niemand der Eingeholten dabei, der augenscheinlich sowohl in Alters- als auch Leistungsklasse mitspielte. Ungewiss über einen möglichen Erfolg der Hetzjagd, blieb diese daher verbissen und anhaltend.
Das mag zwar an den Kräftereserven gezerrt haben, für die mentale Stärke war es jedoch von unvorstellbaren Wert. Letztendlich überstand ich so spielend die erschwerten Bedingungen der kalten Nacht und radelte willensstark in die Morgendämmerung.
Und die Jagd auf Platz zwei? Die war tatsächlich längst erfolgreich.
Runde um Runde wuchs nun sogar der Vorsprung. Das mag gut klingen, war aber schlecht, denn umso komfortabler der Vorsprung wurde, umso mehr Zeit hatte ich zum Jammern. Nach 20Stunden waren die Oberschenkel schwer und der kalte Fahrtwind brannte in den übermüdeten Augen. Den Sattel hätte ich wohl auch vom Rad abmontieren können – darauf sitzen konnte ich eh nicht mehr. Die letzten Stunden fuhr ich vor allem gegen mich selbst.
Nach genau 24Stunden wird die Zeitnahme einen Schnitt machen und nur volle Runden werten. Angefangene Runden wären dann für die Katz. Bei mir war absehbar, dass es knapp werden könnte. Meine vermutlich vorletzte Runde fuhr ich daher bewusst ruhig, um eine Referenz zu erhalten. Ich brauchte 1:02h und erreicht die Zeitnahme mit 1:10h auf dem Countdown. Es war also nicht nur genug Zeit um eine weitere Runde anzugehen , sondern ich konnte auch nochmal ganz schnell anhalten, um was zu futtern.
Die Pause war entsprechend schnell erledigt und ich wollte mich wieder aufs Rad wuchten. Der Versuch ein Bein über den Sattel zu schwingen scheiterte jedoch, weil sich etwas in meiner Wade verbissen hatte. Es war mein innerer Schweinehund, der jetzt doch noch ein paar Wörtchen mitreden wollte:
„Ey Felix, jetzt sei doch mal vernünftig! Der Abstand nach hinten ist so groß, dass du den zweiten Platz sicher hast. Nach Vorne ist jetzt auch nichts mehr zu holen. Ob du die letzte Runde noch fährst, ändert am Ergebnis also eh nichts mehr. Schau doch außerdem mal auf deinen Kilometerstand – nochmal 28km machen den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Warum stellst du dein Rad nicht ab, gehst schon mal duschen und plünderst dann das reichhaltige Frühstücksbuffet? Du kannst doch völlig entspannt die Uhr runterlaufen lassen. “
Diesen Argumenten konnte ich dann leider nichts mehr entgegensetzen und so wurde die vermeintlich vorletzte Runde kurzerhand zur letzten deklariert.
Mein innerer Schweinehund hatte gewonnen. Meine 24 Stunden von Nortorf endeten somit schon nach 22 Stunden und 50 Minuten.