Ich bin ein Halbmarathon-Rookie! Voraussichtlich.
Den Wunsch einen Halbmarathon zu laufen hat eine Lauffreundin 2013 in mir geweckt. Sie schlug vor gemeinsam als Starthelfer beim Halbmarathon auszuhelfen. Und so stand ich morgens um 7 Uhr auf der abgesperrten Karl-Marx-Allee zwischen dem Startblock B und C mit einem Flatterband in der Hand. Ich konnte verfolgen wie erst die Skater und später die Läufer aufgeregt sich im Startblock einfanden. Die Luft war erfüllt von Euphorie und schien zu knistern. Der Moment, in dem sich der Wunsch den Berliner HM zu laufen in meinen Kopf einbrannte, war der als wir die Läufer zur Startlinie eskortierten. Es folgte der Countdown, der Knall des Startschusses und mir standen Tränen in den Augen. Was muß das für ein Gefühl sein hier über die Startlinie zu laufen!?!
Meine Vorbereitung begann am 1. Januar 2014. Fleißig lief ich sämtliche Trainingsläufe bis mich 4 Wochen vor dem Lauf eine Grippe niederstreckte und ich nach 2 Wochen Bettruhe nicht mehr ohne Herzrasen die Treppen in den 2. Stock hochkam. Die Enttäuschung nicht starten zu können war bitter.
Am 1. Januar 2015 startete meine Vorbereitungsphase erneut. Ich lief dreimal in der Woche. Bei Regen, Sonne, durch dunkle, windige Straßenschluchten mit der Lehre: „Den Hintern kann man sich tatsächlich abfrieren.“ Als Sonnenschein-Läuferin staunte ich über die Wucht der Jahreszeiten. Während meines längsten Laufes hörte ich das Hörbuch „Schiffbruch mit Tiger“ und als ich nach 2 Stunden wieder zu Hause ankam, war auf dem Rettungsboot immer noch weit und breit kein Tiger aufgetaucht. Ich fühlte mich gut. Dichter an der Natur. Ich lief auf zarten Schneeflocken, auf vereisten Gehwegen, auf der Tartanbahn, im Wald, im Park, auf der Straße und auf Reisen. Ich quälte mich mit Magenkrämpfen und verteufelte das Eier-Lachsbrötchen, welches ich zum Frühstück gegessen hatte.
Ich staunte darüber wie locker und einfach so mancher 10 km Lauf auf einmal war und dass die Jeans locker saß. Donnerstags lief ich mit den Mädels des Club 261. Jede Lauf-ABC Einheit, die ich in der Vorbereitung absolvierte, verdanke ich Miele, die uns zu Skipping und Hopserlauf animierte. Chrissi sorgte dafür, dass auch meine Bizepse in den Genuss von Muskelkater kamen.
Mittagessen mit den Kollegen: „Du läufst doch auch den Halbmarathon. Wie ist deine Zielzeit?“. „Keine. Mein Ziel ist es 21,0975 km zu staunen und zu genießen.“ Es folgten ungläubige Blicke. Doch so ist es. Ich bin eine Halbmarathon-Jungfrau. Ich will mich nicht nur an eine große Erleichterung erinnern als das Ziel in Sichtweite kam. Der Weg dorthin soll ebenfalls gut sein.
Heute ist der letzte Vorbereitungslauf – Miele und Jules laufen mit mir einen Lockerungslauf durch den Tegeler Forst. Ich fühle mich bärenstark und fit – der Halbmarathon kann kommen. Ist dieses Gefühl der oft beschriebene „Superkompensationseffekt“? Wenn da nur nicht dieses Kratzen im Hals wäre und die Nase ist auch zu… Auf jeden Fall kann der Sonntag kommen!
Mein Herz klopft wie wild. Mein Zeitmeßchip – er liegt noch auf dem Küchentisch. Wie konnte ich den vergessen? Es ist so voll hier – um mich herum Läufer, dicht an dicht. Ich kann doch nicht starten ohne Chip. „Liebes Unterbewusstsein – ECHT JETZT? Klar, ich bin aufgeregt. Aber es wird schon alles gut gehen. Lehn dich zurück, hör auf mir seltsame Träumen zu schicken und genieße die Show am Sonntag.“
Sonntag – Race Day. Meine Erkältung steckt mir immer noch in den Knochen, aber ich fühle mich nicht mehr so schlapp wie an den letzten Tagen. Ich will es versuchen. Ich werde heute über die Startlinie des Berliner Halbmarathons laufen!
Die Wettervorhersage verspricht 21°C. Zum ersten Mal in diesem Jahr hole ich die kurze Laufhose aus dem Schrank. Dazu das neon-orangefarbene Flitzpiepen-Shirt. Es ist nicht nur mein erstes Rennen über die Halbmarathondistanz, es ist auch meine Premiere als Flitzpiepe. Ich bin stolz ein Teil dieser Gemeinschaft zu sein! Gemeinsam stehen wir am Treffpunkt zusammen und von allen Seiten wird mir Mut zugesprochen. „Du schaffst das!“ Ich bin beflügelt und gerührt.
Wir starten im Startblock F. Björn, mein Mann, hat versprochen mich über die 21,0975 km zu begleiten. Wir werden dieses Erlebnis teilen. Es fällt der erste Startschuss, dann der Zweite. Endlich setzt sich mit der dritten Startwelle unser Startblock in Bewegung.
Es geht los. Ich laufe über die piependen Matten. Ich laufe. Ich laufe wirklich den Berliner Halbmarathon. Mein Herz droht zu platzen. Ich habe schon wieder Wasser in den Augen. Hier stehen so viele Zuschauer. Ich kann doch jetzt nicht heulen. Die Sanitäter holen mich sonst von der Strecke. Wahnsinn. Ich habe es geschafft.
Ich bin ein Sieger. Stop. Es liegen noch 20 km vor mir. Ich versuche mein Tempo zu finden und meinen Puls zu beruhigen.
Ich bestaune die monumentalen Gebäude links und rechts der Strecke: den Berliner Dom, die Staatsoper, die Humboldt-Uni und Bauzäune wohin das Auge schaut. Die Beine laufen von allein. Das Brandenburger Tor – ich laufe durch das Brandenburger Tor! So wie Arne Gabius, Philipp Pflieger und Julian Flügel, nur daß diese drei sich schon auf der Zielgeraden befinden.
Das Profis und Rookies wie ich auf derselben Strecke bei demselben Laufevent dabei sind, erfüllt mich mit Stolz. Da vorne ist schon die Siegessäule und die 5 km Marke. Mir schießt ein Gedanke durch den Kopf: „Hoffentlich ist dieser Lauf nicht so schnell vorbei.“
Hinter dem Schloß Charlottenburg auf der Schloßstraße erwartet uns die Familie. Viel zu schnell sind wir an ihnen vorbei, nur ein paar gerufene Aufmunterungen und unsere Erwiderung: „es läuft gut“.
KM 10 – Björn holt mir einen Becher mit Tee. Ich bin überrascht wie erschöpft ich trotz des lockeren Tempos nach nur 10 km bin. Das war in der Vorbereitung leichter.
KM 14 Tauentzienstraße – ich fühle mich matt. Das Lützowufer ist endlos lang. Wo bleibt das Schild für KM 16? Meine Beine laufen nur noch langsam. Mir fehlt die Kraft. Ich ärgere mich – die 17, 5 km in der Vorbereitung waren ein Zuckerschlecken.
Warum bin ich so schlapp. Hätte die Erkältung nicht vor einer Woche mich heimsuchen können? Oder morgen? Björn muntert mich auf. Ich stiere böse gerade aus. Was für eine bescheuerte Idee einen Halbmarathon laufen zu wollen. Und dann so naiv zu denken, ich könnte den Lauf genießen!!
Wir kommen an einer U-Bahnstation vorbei. Der Gedanke jetzt in die U-Bahn zu steigen und mich in die Plastiksitze fallen zu lassen erscheint mir plötzlich als sinnvoll. Björn hält mich ab. Mir wird auf einen Schlag klar, daß ich ohne ihn dieses Rennen nicht beenden kann. Also lasse ich mich darauf ein. Ich höre seine aufpeitschenden Worte, lasse mich mitreißen und plötzlich biegen wir am Alexa ab. Ich kann das Ziel sehen! Das Ziel! Endlich! Ich werde es schaffen. Ich werde diesen Halbmarathon beenden. Ich werde ein HM-Finisher sein. Und plötzlich ist der Lauf vorbei. Mit Medaille um den Hals und Erdinger in der Hand stehe ich da und kann es nicht fassen.
Ich bin 21, 0975 km gelaufen! Ich bin ein Halbmarathon-Rookie.
Und ich werde es wieder tun. Beim nächsten Mal aber ohne Schnupfen. Vielleicht Köln im Oktober?
Wow was für ein Debüt!
Aber auch unsere anderen Piepen und 30.000 andere Starter stellten sich der Distanz.
2 Kommentare
Glückwunsch zur Entjungferung. Richtig Geil ist es in Venlo zu laufen. ?
https://youtu.be/j2cWpVVJjic
Hab ich auch schon ein paar mal gesehen und kämpfe immer wieder mit mir 2017 aber ganz oben auf der Agenda